Palais.Palais.

2013 -2016
Wien I, Herrengasse 19-21

Mit dem Bestand in Dialog zu treten und Räume zu schaffen, in denen das Gebäude in einer architektonischen Kontinuität, die nicht bloß imitiert, weiterleben kann, wählte Architekt Martin Mittermair als Strategie für den Umbau der beiden geschichtsträchtigen Palais in der Herrengasse.

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Mit dem Bestand in Dialog zu treten und Räume zu schaffen, in denen das Gebäude in einer architektonischen Kontinuität, die nicht bloß imitiert, weiterleben kann, wählte Architekt Martin Mittermair als Strategie für den Umbau der beiden geschichtsträchtigen Palais in der Herrengasse. Dieses Vorgangsweise steht auch in Einklang mit dem Stiftungszweck der Karl Wlaschek Privatstiftung, die im Jänner 2011 die beiden Palais erworben hatte. "Zweck der Privatstiftung ist in erster Linie die Begünstigung der Allgemeinheit. Diese erfolgt beispielsweise durch den Erwerb, die Sanierung und die Erhaltung denkmalgeschützter sowie sonst für das Stadtbild Wiens bedeutsamer Gebäude …“, heißt es in der Stiftungsurkunde. 

Nachdem die Redaktion der Tageszeitung „Der Standard“ Ende 2012 in neue Räumlichkeiten übersiedelt war, wurde an der Adresse Herrengasse 19-21 der Weg frei für eine neue Nutzung. Um den Atem der Geschichte wieder erlebbar zu machen und den beiden ehemaligen herrschaftlichen Residenzen wieder den alten Glanz, der durch die zahlreichen Umbauten abhandengekommen war, zurückzugeben, war die Entscheidung der neuen Eigentümer, die beiden Häuser wieder für Wohnzwecke zur Verfügung zu stellen, zweifellos hilfreich. Stichhaltige Argumente gegen eine Büronutzung lieferten aber auch die kleinteiligen Raumstrukturen und unterschiedlichen Niveaus des Bestandes. Vernünftige Raumfolgen und Erschließungen sowie die für zeitgemäße Büroinfrastrukturen notwendige technische Ausrüstung wären damit weitaus weniger sinnvoll sowohl mit dem baulichen Gefüge als auch dem Flair mit der Substanz in Einklang zu bringen gewesen. Und so tragen nun insgesamt 22 Mietwohnungen von unterschiedlicher Größe und in zahlreichen Grundrissvarianten dem Charakter und der räumlichen Heterogenität innerhalb des über Jahrhunderten gewachsenen, unzählige Male veränderten und erweiterten Ensembles Rechnung.  

Der Generalsanierung und Adaptierung ging eine gründliche, von den Besitzern in Auftrag gegebene, Bauforschung voraus. Archäologische Bodensondagen brachten im Februar und März 2013 unter anderem römische Estriche und mittelalterliche Fundamente und Mauern zutage. Dank einer dendrochronologischen Untersuchung konnten das Alter der für die beeindruckenden Dachstühle verwendeten Bäume bestimmt und eine Errichtungszeit ab 1627 festgestellt werden.  Diese Grundlagen lieferten wertvolle Erkenntnisse für die Erforschung der Bau- und Besitzergeschichte der beiden Palais, die wiederum eine hervorragende Basis für die in engem Dialog mit dem Bundesdenkmalamt erfolgte Projektentwicklung und Planung bildete. 

Mit Bedacht wurde analysiert und anderthalb Jahre im Ping-Pong mit den Bauforschern und Denkmalpflegern geplant und schließlich umgebaut – auf kulturell wie handwerklich höchstem Niveau und mit dauerhaften Materialien. Denn die Stiftung verkauft nicht, strebt nicht nach schnellem Profit, sondern plant in längerfristigen Horizonten. Das ermöglicht es, im besten Sinne nachhaltig zu denken: erfreuliche Umstände, wie sie heute in Immobilienwirtschaft und Baubetrieb selten sind.

Rückbau, Neuordnung und Leichtigkeit

Zu einem guten Teil besteht der Umbau aus einem Rückbau. Die meisten der im 20. Jahrhundert vorgenommenen Öffnungen wurden geschlossen und umgekehrt Zumauerungen wieder aktiviert sowie der zu Archivzwecken mit Kunststoffkuppeln überdeckte Innenhof im Palais Batthyány-Strattmann geöffnet.

Was nun im vollendeten Zustand so selbstverständlich wirkt, erforderte enormes Wissen und Fingerspitzengefühl. Das Freilegen der Konstruktionen förderte eine Reihe an Tragwerkskonstruktionen in unterschiedlichsten Techniken aus den mannigfaltigen, über die Jahrhunderte getätigten Umbaumaßnahmen zutage. Die wohl vorrangig auf Zweckmäßigkeit bedachten Eingriffe des 20. Jahrhunderts in Form von Stahlbetonwänden und Fertigteildecken waren auch nicht frei von Ausführungsmängeln. Es war eine Herausforderung, alles wieder in ein statisches Gefüge zu bringen, das den Erfordernissen der neuen Nutzung gerecht wird. Die Baustellendokumentationen liefern einen anschaulichen Eindruck von den aufwändigen Interventionen.

Schon an der Farbgestaltung der frisch restaurierten Fassaden kündigt sich die wiedergewonnene Lebendigkeit und Noblesse des Barock an. Nachdem im Zuge der Putzuntersuchungen zwar dutzende Anstriche vorgefunden, aber keine authentische Fassung nachgewiesen werden konnte, entschied man sich, die Fassaden mit einheitlichen Weißtönen zu überziehen, die der Farbigkeit der an den Fenstergewänden und bei der Bauplastik verwendeten Sandsteinen nahekommen. „Skimming Stone“ nennt sich der distinguierte Farbton mit dezent grauem Einschlag, der beim Palais Batthyány-Strattmann zur Anwendung kam; in kaum merklichem Unterschied dazu erhielt das Palais Trauttmansdorff einen Anstrich in Cremeweiß. Die verbindende Klammer bilden die einheitlich in einem kühlen, hellen Blauton – „Parma Gray“ – gestrichenen Fenster. Diese fein nuancierte Komposition entspricht der lebendigen Farbigkeit des Barock und bildet einen vornehmen Hintergrund für die strahlenden Vergoldungen der Bauplastik. Es ist eine glückliche Fügung, dass zeitlich parallel zu den beiden Wlaschek-Häusern an der Herrengasse auch der in der Bankgasse 2 anschließende ehemalige Mittelflügel des Palais Batthyány-Strattmann – mit anderem Besitzer und unter der Planung eines anderen Architekten – revitalisiert wird. Es wird auf die Farbfassungen der Palais an der Herrengasse abgestimmt, womit nun wieder ein einheitliches Ensemble entsteht.

Für Leichtigkeit im städtebaulichen Kontext sorgt die neugewonnene Durchlässigkeit.  Durch das Verbinden der Innenhöfe der beiden Palais entstand ein Freiraumkontinuum. Es führt von der gewölbten Einfahrt des Palais Trauttmansdorff in der Herrengasse in dessen von einem mächtigen Spitzahorn beschatteten Hof, von dort über den wiedergewonnenen Hof des Palais Batthyány-Strattmann zur Durchfahrt an der Bankgasse um dort wieder im Straßenraum zu münden.  

Im Einklang mit diesem halböffentlichen Durchgang steht die Wiederbelebung der Erdgeschoßzone, wo unter den Gewölben der ehemaligen Stallungen und Wagenremisen Geschäfte einziehen werden. Eine auch nach außen wirksame Bespielung des Erdgeschoßes steht zudem im synergetischen Einklang mit der von den Eigentümern der angrenzenden Liegenschaften finanzierten Umgestaltung der Herrengasse zum urbanen Fußgängerboulevard. Schön früher gab es an Ort und Stelle öffentlichkeitswirksame Erdgeschoßnutzungen. An der Ecke zur Bankgasse firmierte zum Beispiel um 1900 das Restaurant Schmidt und später das Restaurant Bodendorfer. Im Jahr 1921 wurde im Ostteil des Erdgeschosses des Palais Trauttmansdorff ein Geschäftslokal eingerichtet und 1985 bis 1999 betrieb im Parterre das Land Niederösterreich mit der Blaugelben Galerie einen Raum für zeitgenössische Kunst. Für die neuen Läden wurden die Gewölbe von Einbauten befreit, und um Eingangsportale und Schaufenster zu ermöglichen, wurden in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt einzelne Fensterparapete geöffnet. Die Geschäftsstrukturen sind kleinteilig genug, um für internationale Ketten als Standort nicht in Frage zu kommen. Das ist gut, denn Wienerisches Flair soll das wegen seiner Dichte an repräsentativen Stadtpalais längst „Palaisviertel“ getaufte Grätzel – so nennt man in Wien charakteristische Wohnumgebungen - erfüllen. Neben den Häusern Herrengasse 19 und 21 befinden sich mehrere Palais im Umfeld im Eigentum der Karl Wlaschek Stiftung, darunter das gegenüber liegende Palais Ferstel und die Palais Hardegg, Harrach und Kinsky. Der gut gepflegte und wiederhergestellte Luxus vergangener Epochen entfaltet sich hier in einem gut durchmischten nachbarschaftlichen Nebeneinander von Botschaften, Ministerien, Kunstgalerie, Cafés, Läden mit feinem Sortiment und – unerlässlich für ein Stadtzentrum, das nicht zum Museum erstarren soll – den Wohnungen.  

Mit Sinn für die Historie in die Zukunft                                   
Die Palais Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff als neue Wohnadresse
Franziska Leeb, Teil 1

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Fotos
Stefan Oláh