Privathaus Graz

1998 - 1999
Graz Geidorf

"Schanzenperspektive: Sechs Meter ließ Martin Mittermair die Betonpylonen in den Hang setzen, damit sein dreigeschossiges Wohnhaus wie auf einem Stahlbeton-Tablett zur Grazer Altstadt hinausragen kann –eine Lichtburg auf einem Problemgrundstück.

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"Schanzenperspektive
Sechs Meter ließ Martin Mittermair die Betonpylonen in den Hang setzen, damit sein dreigeschossiges Wohnhaus wie auf einem Stahlbeton-Tablett zur Grazer Altstadt hinausragen kann –eine Lichtburg auf einem Problemgrundstück.

Ohne Zweifel - für den geübten Skifahrer gäbe es an diesem Hang keine Richtungsfrage: geradewegs nach unten. Einfach steil absausen. Gelegenheitsgleiter wären mit Schrägfahrt besser beraten. Immer schön quer zum Gefälle. Für die meisten Österreicher hat so ein Hang keinen Schrecken, und deshalb waren Christa und Oswald Held vom Blick auf den Grazer Schlossberg weit mehr beeindruckt als von der Neigung des Terrains. Der Bauplatz öffnet sich von nur fünf Meter Breite an der Straße trapezförmig den Hang hinab - ein problematisches (und deshalb günstiges) Grundstück, aber eben auch eines, dessen Südaussicht unverbaubar ist.

Der Optimismus der Helds erhielt bald darauf einen Dämpfer, denn die Vorschläge, die sie nacheinander von zwei Architekten erhielten, waren enttäuschend. Diese setzten sich weder mit der Hanglage aus­ einander noch entsprachen deren Entwürfe ihrem Geschmack. "Man weiß erst nicht so genau, was einen stört", beschreibt Oswald Held sein Unbehagen. "Bis einem klar wird: Es ist das Konventionelle." Das Ehepaar bekam Walmdächer angeboten, Erker und beigefarbene Putzfassaden. ,,Als mir ein Bekannter den Architekten Mittermair in Wien nannte, hab ich fast nur aus Höflichkeit angerufen - um den Freund nicht zu verärgern", erinnert sich Oswald Held. Er landete einen Volltreffer.

Martin Mittermair ordnete den unvermeidlichen Vertikalverkehr der Bewohner durch eine Kombination von Quer- und Steilführung. Von der oberen Ebene mit Eingang, zwei Kinderzimmern, Bädern und Schlafzimmer führt eine Treppe mit Holzstufen zunächst in Seitwärtsbewegung den Hang entlang nach unten auf ein Zwischengeschoss mit Bibliothek und Gästezimmer. Von diesem Absatz wendet man sich direkt in den Steilhang und gelangt über eine Treppe mit gläsernen Stufen auf die untere, die Wohnebene. Eine weitere Wegführung quer zum Hang war nicht möglich. Dann wäre das Gebäude zu sehr in die Breite gegangen. Die Wohnebene öffnet sich auf ganzer Front mit raumhohen Fenstern in die Landschaft, aufs Holzdeck und auf den Pool, der seitwärts wie ein Schanzentisch über den Hang hinauskragt.

Von oben nach unten werden die Räume größer, von den eher bescheiden dimensionierten Schlafzimmern bis zum Ein-Raum, der eine abgeschirmte Küche, einen weiten Ess- und Arbeitssaal sowie den Sitzbereich mit Kamin enthält. Diese Folge aus räumlichem Understatement und Luxus begeisterte die Helds. Dass der Architekt schon mit dem Modell einen provozierend terrakottaroten Anstrich vorschlug, erst recht. Folgerichtig entwickelte Mittermair auch alle Einbauten, entwarf die Küchenzeilen und machte Vorschläge für die Möblierung. Der Architekt beherrschte Bau und Klienten. Und die ließen es geschehen. "Von meinen Wünschen ist nichts mehr da", schmunzelt Oswald Held, "Mittermair hat Gott sei Dank alles abgelehnt."

Ihre Ergebenheit in den künstlerischen Entwurf werten die Helds als Gewinn. Anstelle eines Aschenputtel- erhielten sie ein Ausnahmehaus, das in die vorderen Reihen der neueren Grazer Architektur gehört. Über eine gelungene Lösung des Hangproblems geht der Bau mit seiner ästhetischen Finesse weit hinaus. Dem physischen Eindruck, das Bauwerk vergrößere sich von oben nach unten, steht eine Geschlossenheit der Großform gegenüber. Während die roten Flanken mit den schmalhohen Fenstern glatte Ansichten bieten, zeigt sich die eigentliche Schauseite zum Hang wie aufgeschnitten und mit einem Gitter aus stählernen Brüstungen und Fluchtweg-Passerellen geschützt. Trotz seiner Masse wirkt der Bau dünnschalig und leicht, nicht zuletzt dank des schmalen Flugdachs mit Solarkollektoren. Von dort oben geht der Blick senkrecht in die Tiefe - für Skifahrer der schönste Nervenkitzel: Wer schwarze Pisten nimmt, kennt den Rausch beim Fahren in der Falllinie."

© HÄUSER 6/02

 

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Fotos
Manfred Seidl